Auf einer kleinen, windigen Klippe auf Mallorca, wo die Olivenbäume tanzten und das Meer Geschichten flüsterte, lebten drei Geschwister: María, Pablo und ihre kleine Schwester Sofía. Sie wohnten mit ihren Eltern in einem alten Steinhaus, das direkt am Meer lag.
An diesem Abend aber war es anders als sonst. Der Himmel war tiefschwarz, die Sterne hinter dicken Wolken versteckt, und ein wilder Orkan tobte über das Meer. Die Wellen klatschten mit unbändiger Kraft gegen die Felsen, und der Wind heulte um das Haus, als wollte er hinein.
Die Eltern hatten die Fensterläden fest verschlossen, und drinnen flackerte nur das Licht einer kleinen Kerze, die auf dem Nachttisch stand. “Zeit fürs Bett, Kinder”, sagte Mama sanft, aber ihre Augen verrieten, dass sie selbst ein bisschen unruhig war.
María, die älteste, nickte tapfer. “Kommt, ich erzähle euch eine Geschichte, bis der Orkan vorbei ist.”
Die drei kuschelten sich zusammen in Sofías Bett, das nah am Fenster stand. Draußen pfiff der Wind so laut, dass es klang, als ob er ein altes Lied sang. “Erzähl von einem Abenteuer”, bat Pablo, während Sofía sich mit ihrer kleinen Decke die Ohren zuhielt.
“Na gut”, begann María. “Habt ihr gewusst, dass hier auf Mallorca einst ein mutiger Fischer namens Ramón lebte? Ramón liebte das Meer, auch wenn es manchmal wütend war, genau wie heute Abend. Eines Nachts, genau wie jetzt, tobte ein Sturm. Aber Ramón hatte gehört, dass weit draußen im Meer ein Schatz verborgen lag, den nur die Tapfersten finden konnten.”
“Ein Schatz?”, flüsterte Sofía und zog die Decke langsam herunter.
“Ja”, sagte María mit einem geheimnisvollen Lächeln. “Ein goldener Kompass, der immer den Weg nach Hause zeigt, egal wie stark der Wind bläst.” Pablo lehnte sich vor. “Und? Hat Ramón ihn gefunden?”
“Natürlich”, antwortete María. “Aber es war nicht leicht. Der Wind wollte sein Boot kentern lassen, die Wellen spritzten ins Gesicht, und doch hörte Ramón nie auf zu rudern. Als er fast aufgeben wollte, sah er plötzlich ein Leuchten tief im Wasser. Es war der Kompass, der wie ein Stern leuchtete. Ramón griff ihn, und im selben Moment beruhigte sich das Meer.”
Sofía lächelte. “Und dann war der Sturm weg?”
María nickte. “Genau. Ramón brachte den Kompass nach Hause, und seitdem beschützt er alle, die in seinem Haus wohnen.” Sie deutete auf das Fenster. “Vielleicht ist er immer noch hier und passt auf uns auf.”
Die Geschwister hörten dem Sturm noch eine Weile zu, aber María hatte recht. Irgendwie fühlten sie sich sicherer, als ob der goldene Kompass tatsächlich über sie wachte. Nach und nach fielen ihre Augen zu, und während der Orkan draußen weiter tobte, träumten sie von Ramón, dem Fischer, und seinem mutigen Abenteuer.
Und irgendwann, mitten in der Nacht, wurde es still. Der Wind legte sich, die Wellen wurden sanft, und ein silberner Mondschein fiel durchs Fenster. Der goldene Kompass hatte wieder einmal seinen Dienst getan.
(Geschichte von Kathrin Illner)